Der Wiener Prater - wenn das Lachen ausbleibt


Wenn man vom Wiener Prater spricht, denkt jeder sofort an den weltbekannten Vergnügungspark im Prater, kurz Wurstelprater genannt.

In Wahrheit ist der Wiener Prater ein rund 6 km2 umfassendes, großteils öffentliches Areal im 2. Wiener Gemeindebezirk. Der Bereich war einst eine, von der Donau, ausgeprägte Aulandschaft.

Erstmals findet der Prater in einer Urkunde aus dem Jahr 1162 Erwähnung. Damals schenkte Kaiser Friedrich I. Barbarossa dem Adligen namens Conrad de Prato Grundstücke zwischen der Schwechat und der Donau bei Mannswörth, die Pratum (lat. Wiese) genannt werden.

Danach war der Prater kaiserliches Jagdrevier und nur dem Adel vorbehalten. Erst der österreichische Kaiser Josef II. schenkte den Wienerinnen und Wienern 1766 das Areal als Erholungsgebiet. Nachdem er die Errichtung von Gastronomie-Ständen genehmigte, etablierte sich alsbald am Rande des einstigen Jagdreviers der Vorläufer des heutigen Wurstelpraters.

1873 fand hier die erste und bislang einzige Weltausstellung in Wien statt. Die damals als Zentrum gebaute Rotunde fiel fast 70 Jahre später einem Brand zum Opfer. Auf diesem Platz steht heute das Hauptgebäude der Wiener Messe.

Venedig in Wien

1895 errichtete man das Vergnügungsareal "Venedig in Wien", dazu kam 1897 in dessen Mitte das Riesenrad, das bis heute das Wiener Wahrzeichen ist. Ein Teil neben dem Wurstelprater heißt heute noch Venediger Au. Der Prater wurde zum Ort der Kultur und Unterhaltung, anfangs für die "bessere" Gesellschaft, die schon mal gerne mit dem Fiaker herkutschieren ließ. Kadetten und Wäschermädel pflegten hier ihre Rendezvous, "Hutschenschleuderer" und Kuriositätenkabinette wetteiferten um Kunden. Drehorgeln, Heurigensänger und Damenkapellen musizierten und zur Unterhaltung der Kinder wurden etliche Puppentheater in einfachen Holzbuden errichtet, von denen der lustige Hanswurst eine Hauptrolle spielte. Von ihm bekam der Wurstelprater seinen Namen. Weltberühmt wurde das Lied "im Prater blühen wieder die Bäume" von Robert Stolz.

Im zweiten Weltkrieg wurden große Teile des Geländes durch zahlreiche Bombentreffer zerstört. Den Rest zerstörte 1945 ein großer Brand. Danach wurde der Wurstelprater durch Privatinitiativen wieder aufgebaut, die verwüstete Praterlandschaft durch das Stadtgartenamt wieder aufgeforstet.

Wiener Kind

Als typisches Wiener Kind, wie ich eines bin, kommt man schon früh mit dem Wurstelprater in Kontakt. Meistens in den Ferien anlässlich des Wiener Ferienspiels. Damals durfte ich hauptsächlich schauen, da wieder mal wenig Geld in der Kassa war. Und der Höhepunkt für Mutti und mich waren immer die Erdäpfelpuffer beim Imbiss des Schweizer Hauses. Die müssen bis heute einen Praterbesuch abrunden.

Damals war es Brauch, bei der Firmung den Tag im Prater zu verbringen. Mensch, was freute ich mich darauf. Durfte ich mir doch 2-3 Attraktionen aussuchen, darunter war die Zwergerlbahn und ein Ringelspiel. Und Erdäpfelpuffer bis zum Abwinken.

Die Kindheit in der modernen Zeit

Heute gehen wir hin und wieder in den Prater. Die Erdäpfelpuffer stehen nach wie vor auf der Wunschliste. Dazu ein paar kleine und große Attraktionen. Und ohne Zwergerlbahn geht fast kein Besuch. Voriges Jahr sind wir zum ersten Mal mit Freunden mit der Liliputbahn gefahren. Ansonsten ist es wie früher. In den Prater gehen und schauen. Viel zu wild, zu schnell, zu hoch oder auch zu kostspielig sind die heutigen Attraktionen für uns. Aber jeder Adrenalinjunkie feiert hier richtig ab. Dazwischen gibt es für Kinder tolle Attraktionen, wie die Alt Wiener Grottenbahn, das Lachkabinett oder Märchenbahn. Wer sich fürchten möchte, den stehen die Geisterhäuser zur Verfügung und allen, die den Traum von Fliegen erleben möchten wird ebenso viel geboten. Fad wird es normalerweise nie im Prater. Und die Gastronomie sorgt dazwischen für Stärkung.

Einige Male im Jahr gibt es unterschiedliche Veranstaltungen, die letzte, die wir besucht haben war der große Faschingsumzug.

Corona-leer

Heute, es ist der 22.04, mitten in der absoluten Hochsaison, war ich im Prater. Er ist leer. Mehr wie leer. Leerer als in der normalen Winterpause. Kein Kinderlachen schallt von den Karussells durch die erste-Mai-Straße. Keine Freudenschreie Jugendlicher, die über die Hochschaubahnen flitzen. Sogar die kleine Meerjungfrau in der, vorallem im Hochsommer beliebten, Aqua Gaudi, sitzt auf dem Trockenen.

Besonders dramatisch traf es das Schweizerhaus, das nur ein paar Tage nach Corona-Ausgehbeschränkungs-Erlass pompös seine Pforten geöffnet hätte. Der Gastgarten ist geschlossen, auf den Tischen liegen unzählige Blütenblätter. Erdäpfelpuffer bekomme ich heute auch keinen.

Obwohl ich ehrlich zugeben muss, dass wir Wiener lieber zum englischen Reiter auf eine Stelze gehen.

Calafati wurde der Strom abgedreht

Ich ziehe meine Runden weiter. Calafati, der neun Meter hohe Chinese, der als eines der Wahrzeichen des Wurstelprater gilt, grüßt mich freundlich. Er vermisst das Kinderlachen. Die faszinierten Menschenmengen. Die ausgelassene Stimmung. Man habe ihn den Strom abgedreht und somit seinen sonst so geliebten Rundumblick durch seinen Prater genommen. Er fragt mich aus, wie es dem Mecky Express hinter ihm geht und ob das Blumenrad sich dreht. Ich kann keine erfreulichen Nachrichten überbringen. Mecky ist hinter den Rollbalken eingesperrt und das Blumenrad steht still.

Ebenso wie die Autos vom Autodrom, der Praterzug und alles andere. So ruhig ist der Prater nicht einmal an einem trüben, nassen, eiskalten Wintertag. Sogar an solchen Tagen tummeln sich wenigstens eine Handvoll Menschen, Einheimische und Touristen.

Corona hat alles leer gefegt. Das Virus ist eine richtige Spaßbremse. Nicht nur wirtschaftlich. Auch wenn man so durch die sozialen Medien schaut, ist vielen Menschen das Lachen vergangen. Traurig, einfach nur traurig, was hier weltweit so abgeht.

Fang das Licht

Basilio Calafati, der Ältere steht neben der geschlossenen Eisbude und versucht die Sonne zu fangen. Er möchte sie aufheben und später, an regnerischen Tagen, den Menschen wieder ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Er freut sich, dass ich bemerkt habe, dass er sein Podest am Riesenradplatz verlassen hat. Wo er steht? Sucht ihn beim nächsten Besuch und fängt mit dem einstigen Zauberkünstler, Schausteller und Gasthausbesitzer gemeinsam das Licht.

Der große Kasperl sitzt nach wie vor auf seiner Bank. Schon lange wollte niemand ein Foto mit ihm. Wie sehr liebt er die Kinder auf seiner Bank, die ihn streicheln, küssen und Geschichten erzählen. Keine Jugendlichen machen Selfies mit ihm und verschicken diese in die ganze Welt. Die unsägliche Ruhe zieht an den Nerven der Praterfiguren. Alle halten Ausschau nach den ersten Besuchern. Es scheint, als wäre das Leben hier noch vor dem richtigen Frühlingsstart gestorben. Der Pleitegeier zieht seine Runden.

Ich wünsche allen ein baldiges Erwachen. Eine rasche Rückkehr in der "neuen Normalität", Kinderlachen und lustige Streiche. Und ziehe weiter.

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Fotos von Fotografin Renate, www.fotografinrenate.at 

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