Waldschenke Runde
Bad Leonfelden, Mühlviertel, Oberösterreich
Wer unsere Wanderberichte kennt, weiß, dass wir als Wiener Großstädter gerne in der Natur unterwegs sind. Jedoch ohne technischen Kram, der uns ohnehin die ganze Woche in Beschlag nimmt. Einfach den Taferln und der Nase nach. Und ich rieche schon Lebkuchen. Ich schnuppere wie ein Hund, der eine heiße Spur aufgenommen hat. So einer vielleicht, der nach Rauschgift sucht...
"He, komm, Lebkuchen muss verdient werden", mein Herr und Gebieter boxt mich in die Rippen, "nimm die Kamera und Abmarsch!"
Gut beschildert muss unser Weg sein
Nun, ich halte einen A5 großen Zettel in der Hand. Waldschenke Runde. 10 Km, 240 Hm. Das aufgezeichnete Höhenprofil sollte für uns Großstädter machbar sein. Noch dazu, wo es sogar eine leichte Nordic Walking Runde sein soll. Übrigens, im Internet gibt es schon so viele Beschreibungen mit Zeitangaben, davon nehme ich jetzt Abstand. Wir wollen ja keinen Wettbewerb gewinnen, wir wollen die Natur genießen und für unsere Verhältnisse gut unterwegs sein. Ich muss in keinem Guinness-Buch der Rekorde verewigt sein. Ich will Spaß, gute Luft, Entschleunigung und einfach genießen. Na, dann mal los.
Vom Stadtplatz aus, vorbei an der Kirche, über einen Kreisverkehr und nach rechts. Los geht es. Mit Nr. 2 ist der Weg beschildert. Und die Schilder sollen uns bis zur Rückkehr zum Stadtplatz, wo unser Auto wartet, nicht im Stich lassen.
Ich kann mir gut vorstellen, dass Nordic Walkingfans hier begeistert sind. Der Weg führt ohne nennenswerte Steigungen vorbei an vereinzelten Häusern, über eine Wiese bis nach Amesberg. Noch lachen wir über die Gruppe hoch über unseren Köpfen, die sich in Windeseile gegen Himmel schrauben. Haha, schau, da geht es aber schön bergauf. Also aus Sicht der Großstädter halt.
Das Lachen wird uns gleich vergehen
Gut, viele Schritte weiter lachen wir nicht mehr, sondern ringen nach Luft. Verdammt. Der Weg ist auch unserer. Wir schrauben uns wieder mal nach oben. Und das mag mein üppiger Großstadtkörper so gar nicht.
"Familienfreundlich", pfaucht mein Schatz. Tja, wir haben schon mitbekommen, dass man bei Routenbeschreibungen verdammt aufpassen muss. Was für geübte Wanderer familienfreundlich, kinderleicht und einfach ist, gleicht für uns Großstädter einer Besteigung des Mount Everest. Nicht zu unterschätzen für uns Flachländer ist schon alleine die reine Höhenluft. Bis der Stadtstaub aus unseren Lungen in den Wald gepustet ist, dauert es.
Unsere Schritte werden langsamer. Ich bleibe des Öfteren einfach zum "Fotografieren" stehen. Ha, eine gute Ausrede um nach Luft zu schnappen. Wie ein Fisch auf dem Trockenen. Aber ich weiß, am Ende wartet der Lebkuchen auf mich. Das spornt an.
Der Wegweiser zeigt, dass wir die Straße verlassen und in ein kleines Waldstück einbiegen sollen. Uns kommen zwei Wanderer entgegen. Wobei Wanderer ist übertrieben, die Dame geht in den berühmten Plastikschuhen, ohne hier eine Werbung dafür zu setzen. Auf alle Fälle sind das keine Wanderschuhe. Sie grüßt uns freundlich und versucht uns mit "sind nur noch 15 Minuten", Kraft einzuhauchen. Anhand ihres Schuhwerkes gehe ich nun von einem Stück Waldautobahn aus. Und auf der Geraden sind wir wirklich gut unterwegs. Ein kühles Getränk und ein aufbauendes Mittagessen in der Waldschenke rücken in erreichbare Ferne. Ich stürme los. Und komme nur geschätzt zwei Meter.
Verdammt, da geht es bergauf. Der Weg ist steinig. Ausgewaschen. Rutschig. Der gestrige Regentag hat seine Spuren hinterlassen.
"Die Leute am Land müssen schon beim Wandern geboren werden", raunze ich mit letzter Luft in den Herbstwald. Es ist totenstill. Es scheint, als würden alle Waldtiere den Atem anhalten und gespannt die beiden Großstädter beobachten. Klar, so etwas haben die noch selten gesehen. Ich fühle mich beobachtet.
Mein Schatz steht schon am Ende des Waldstückes und starrt nach oben. Da oben am Hang steht die Waldschenke. Mein Blick erhascht den Gastgarten. Dort, ganz am Ende ist noch ein Tisch frei. 'Das ist unserer', will ich nach oben brüllen. 'Reserviert den bitte!'
Die Pause haben wir uns verdient
Gefühlte fünf Stunden später, wobei es wahrscheinlich 15 Minuten und 10 Pausen war, lasse ich mich in den, mit weichem Vlies gepolsterten Sessel fallen. Wir haben es geschafft. Wir sind kurz unter dem Sternstein. Auf immerhin 960 m Seehöhe. Ich bin stolz auf uns Großstädter. Haben wir es den Mühlviertler Bergen gezeigt. Ha, wir können nicht nur über die Kärntner Straße laufen. Zwar haben wir viel länger, als jeder geübte Wanderer gebraucht, aber wir sind da. Ich schlürfe das zweite Glas Quellwasser mit hausgemachtem Minzsaft und löffle genüsslich mein wohlverdientes Eierschwammerlrisotto. So lecker. Stolz belächeln wir die raschen Bergerklimmer. Die, die gerade aus teuren PKWs aussteigen und am liebsten direkt vor der Tür parken würden. Immerhin führt die Straße bis hierher. Übrigens, auch im Winter, wenn hier Ski gefahren wird.
Von nun an rollen wir zum Lebkuchen
Nach der Stärkung, der Aktivierung unserer Kräfte, gehen wir weiter. Und jetzt wissen wir, wieso wir diese Route gewählt haben, denn von nun an geht es nur noch bergab. So lässt es sich wandern. Zuerst anstrengen, dann sich belohnen und dann einfach nur noch bergab rollen lassen.
Schön herbstlich liegt der Wald vor uns. Richtig romantisch. Unzählige Schwammerl säumen den Weg. Die Wegweiser führen uns sicher auf Weg Nr. 2 weiter. Ich kann meine kleine Wanderkarte getrost im Rucksack stecken lassen. Irgendwann begegnen wir einer Reiterin. Sonst passiert nichts Nennenswertes auf unserem weiteren Weg. Außer...
Ja, außer, der Lebkuchengeruch wird intensiver. Zumindest in unseren Gedanken, denn wir kommen immer weiter nach Bad Leonfelden zurück. Bald werden wir unser Auto erreichen, starten und die paar Meter zu Kastner fahren. Und dort gibt es frischen Lebkuchen. Und für interessierte Personen auch eine Führung hinter die Kulissen mit eigenem Lebkuchenherz. Aber das ist eine andere Geschichte.
Unsere allgemeinen Wandertipps: Großstadtwanderer
Fotos von Fotografin Renate
Wien, 07.11.2020