Ein dunkler Schatten über fernöstlicher Gartenkunst
Ich habe
zwischen zwei Geschäftstreffen etwas Zeit. Für den Weg nachhause zu kurz, für
ein zweites Mittagessen ist kein Platz mehr, für einen Einkaufsbummel habe ich
mit der Maske keine Lust, also was machen mit dieser plötzlichen Freizeit? Ich
krame in meiner Erinnerung, suche die To-Do-Liste und stöbere geistig darin
herum.
Wenig später stehe ich inmitten des Setagayaparks in Wien-Döbling. Ein kleines, ruhiges Plätzchen, das hier, nach den Plänen des japanischen Gartengestalters Ken Nakajima im Jahre 1992 eröffnet wurde. Döbling ist übrigens der Schwesterbezirk von Tokio-Setagaya.
Gut, sagen wir mal so. Am Eingang steht ein Steinmonument, in das, in japanischer Schrift, das Wort Furomon (zu Deutsch Paradies) gemeißelt ist. Naja, Hand aufs Herz, das Paradies hätte ich mir größer vorgestellt. Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, hier meine zwei Stunden, außer etwa lesend auf einer Parkbank, zu verbringen. Die Anlage ist, sagen wir es freundlich, recht überschaubar.
Beim Teich befindet sich ein Teehaus, wo in normalen Zeiten, also die Nicht-Corona-Zeiten, immer wieder Teezeremonien abgehalten werden. Heute scheint es relativ leer, einsam liegt ein Herzerlluftballon am Boden. Sichtlich geht ihm langsam die Luft aus.
Nett ist es von der kleinen Plattform die Tiere im Teich zu beobachten. Langsam wird mein Interesse geweckt. Unglaublich, welche Vielfalt sich hier auf dieser überschaubaren Fläche tummelt.
Da schwirren Libellen durch die Luft, die anderen tänzeln über die Wasserfläche - Eiablage sagt man dazu. Zwischen den Seerosen strecken Schildkröten die Köpfe aus dem Wasser. Unter den Blättern versuchen sich große Koi-Karpfen zu verstecken, dazwischen sausen rot-gold-schimmernde Goldfische vorbei. Weitere Fischarten, die mir aber noch unbekannt sind, tummeln sich zu Hauf im Wasser. Meisen flattern laut singend durch die Äste der Bäume.
Ich lausche dem Plätschern des Wassers, das sich aus einer Quelle am oberen Parkende in kleinen Wasserfällen unter einer gewölbten Holzbrücke in den Seerosenteich ergießt. Nach und nach erfüllt die Stille des Szenarios meinen gestressten Großstadtkörper. Ich spüre, wie ich die Ruhe in mich aufsauge und sichtlich entspannter werde.
Doch plötzlich durchbricht Hektik im Teich die unendliche Ruhe. Fische springen aufgeregt ein paar Zentimeter aus dem Wasser. Schildkröten flutschen von ihrem Sonnenplatz am Teichrand aufgeregt ins Wasser. Die Meisen sind augenblicklich verstummt. Ein dunkler Schatten kommt in rasantem Tempo über meine linke Schulter hereingeflogen. Er muss die Sonne fast gestreift haben. Ein kurzer Klatsch im Wasser, die Wellen breiten sich bis zu mir aus. Mein Blick versucht die Situation zu erfassen, das Geschehen an mein Hirn zu senden.
"Da ist aber fischen verboten", höre ich einen Mann hinter mir lachend sagen. Wir schmunzeln beide. Und dann stehen wir gespannt auf der kleinen Plattform und schauen dem Graureiher beim Verzehr seiner Mittagsmahlzeit zu. Wird er es schaffen den großen Fisch zu vertilgen? Oder hat er den Schnabel zu voll genommen? Leider hatte ich nur das Weitwinkel mit, somit konnte ich die Graureiher-Festmahlzeit nicht näher ranzoomen.
Vor lauter Spannung hätte ich dann fast auf meinen Geschäftstermin vergessen. Kaum zu glauben, was man auf so einer relativ kleinen Fläche inmitten der Großstadt, neben einer stark befahrenen Schienenstraße alles erleben kann. Man muss nur die Augen offen halten.